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Channel: Placebo – Psiram
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Die Wunderkraft des Placebo

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placeboDie Wunderkraft des Placebo – ein Blick zurück, und einer nach vorn:

»Wunderheilungen sind kein Voodoo, das können wir erklären«, ist Manfred Schedlowski überzeugt. »Eine starke Erwartungshaltung verändert die Gehirnchemie, Botenstoffe werden ausgeschüttet, und diese Veränderungen werden über das Nervensystem an den Körper weitergeleitet, wo sie häufig genau die gewünschten Wirkungen in Gang setzen«, sagt der Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie am Universitätsklinikum Essen.“

So war es vor wenigen Jahren in der ZEIT zu lesen. Und im Januar 2013 trafen sich, so wird herablassend mitgeteilt, 100 Placebo-Forscher zum Kongress in Tübingen, „um in einer großen Aufbruchsstimmung die bislang stiefmütterlich vernachlässigte Placeboforschung voranzutreiben. […] Und natürlich wird das Einfluss auf das einseitig materialistisch[e] Weltbild anderer Forscher haben. Das wird nämlich in nicht allzu ferner Zukunft in seiner Einseitigkeit ausgedient haben …“ Die Journalisten der ZEIT hatten das Programm noch leichter fasslich präsentiert: „Die Wissenschaft erklärt, warum Jesus der perfekte Heiler war“.

Nun ist bekanntermaßen kaum etwas schwieriger, als die Zukunft vorherzusagen. Werfen wir daher einen Blick in die (ferne) Vergangenheit. Ein umherziehender Wunderheiler mit einer gewissen Rechtsgelehrsamkeit und der Fähigkeit, seine moralischen Gebote in Gleichnissen zu verkünden: das ist wahrscheinlich die historische Substanz der Jesus-Gestalt. Durch die Überlieferung wurden seine Heilungen vermehrt und überhöht, und es ist nicht sinnvoll, für jede eine naturalistische Erklärung zu suchen. Für den gläubigen Christen waren alle beschriebenen Heilungen völlig real und auch nicht durch eine Art primitiver Psychiatrie hervorgebracht, sondern durch direktes göttliches Eingreifen.

Im Laufe der Jahrtausende aber änderte sich die Bewertung. Als der tierische Magnetismus des Franz Anton Mesmer durch eine Kommission unter Benjamin Franklin placebokontrolliert überprüft wurde (ein Meilenstein in der Geschichte der Medizin), reagierten die geblindeten Probanden auch auf die nicht-magnetisierten Gegenstände heftig. Nach der Veröffentlichung des Kommissionsberichts schrieb Franklin in einem Brief an seinen Enkel: „… aber viele verwundern sich darüber, dass die Kraft der Imagination Konvulsionen hervorruft etc., und manche meinen, dass von den Ungläubigen Schlussfolgerungen gezogen werden könnten, die geeignet seien, unseren Glauben an einige der Wunder des Neuen Testaments abzuschwächen.“

Die Nachricht von der sagenhaften Kraft des Placebo ist also in der Tat keine Neuigkeit. Dennoch fragte sich G.B. Shaw, warum er in Lourdes zwar die weggeworfenen Krücken und Brillen, aber nicht die weggeworfenen Holzbeine und Glasaugen gezeigt bekam. Auch fragen wir uns, warum der jahrhundertealte wundertätige Brauch der englischen Könige, die Skrofulose durch Handauflegen zu heilen, im frühen 18. Jhd. aufgegeben wurde. Der Mesmerismus ist ebenfalls – trotz Wiederbelebungsversuchen – nicht mehr so recht auf die Beine gekommen. Ferner spricht niemand mehr von Perkins‘ Traktoren, zwei kleinen Metallstäben (Herstellungskosten: 1 Shilling, Verkaufspreis: 5 Guineas), mit denen man um 1800 in der Lage war, nahezu alle Krankheiten zu heilen.

Karikatur Perkins' Tractors

James Gillray (1756–1815): Metallic Tractors. Karikatur (Quelle: Wikipedia)

Aber Psiram muss sich geschlagen geben: die Homöopathie lebt immer noch. Und Reiki gibt es auch noch, obwohl der Nachweis der Unsinnigkeit (von TT) derart schwierig war, dass er einem neunjährigen Kind gelungen ist. Gerade war im Rundfunk (rbb, „Religion und Gesellschaft“) zu hören, dass das Unfallkrankenhaus Berlin inzwischen sechs Reiki-Meister angestellt habe und wie zufrieden die Patienten seien.

Die Effekte von Placebo werden immer zeitlich und im Ausmaß begrenzt bleiben müssen. Irgendwann wird der Speichelfluss des Pawlowschen Hundes versiegen, wenn er immer nur das Klingeln hört, aber kein Futter mehr bekommt. Was die Agenda der Placebo-Forschung angeht: was genau will sie herausfinden? Wie man nachgewiesen wirksame Interventionen mit größtmöglichem Nutzen einsetzt, oder wie man „die Kraft des Placebo“ mittels Homöopathie oder Reiki mobilisiert? Wird ersteres das „einseitig materialistische Weltbild“ um die „geistige Dimension“ erweitern? Kaum. Wird letzteres der Homöopathie oder dem Reiki zum wissenschaftlichen Durchbruch verhelfen? Kaum.


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